Donnerstag, 18. Oktober 2007

... Auch wenn´s keinen interessiert

... schreib ich mal wieder in dieser selbstkritischen rubrik einen neuen eintrag

es gibt da eine frage die mich quält und mir keine ruhe mehr lässt:

"habe ich mir die ganze zeit nur etwas vorgemacht?"

ja ich weiß es gibt immer wieder zeiten in denen man sich fragt, ob man wirklich gottes stimme gehört hat, ob man den anforderungen des lebens gewachsen ist, ob man geliebt ist, ob man schön genug ist, woher das nächste geld kommt oder ähnliches, aber damit hat diese frage bei mir garnicht viel zu tun.

ich hatte ende august einen stärkeren rückfall bezüglich alkohol gehabt, damit einhergehend habe ich eine periode der schwäche durchlebt und immer wieder kleinere rückfälle erlebt, die alle samt und sonders auf persönliche willensschwäche zurück zu führen sind. d.h. im klartext, ich wollte diese kleineren rückfälle zu keinem zeitpunkt ernsthaft verhindern, wahrscheinlich weil es mir gefiel schwach und willenlos zu sein. das dachte ich zumindest recht lange, bis mir am dienstag die augen ziemlich brutal geöffnet worden sind.

meine suchtkarriere endete eigentlich bereits 1999 mit einem für mich damals sehr harten urteil, wegen einer körperverletzungsgeschichte. ich hatte in diesem besonderen fall irgendwie das gefühl, dass ich diesmal nicht einfach so davon kommen werde und hatte mir eine selbsthilfegruppe für alkoholiker gesucht, weil ich irgendetwas dem gericht als zeichen dafür, dass ich gewillt bin mein leben zu ändern präsentieren wollte, damit ich eventuell doch noch mal mit einem blauen auge davon komme. dem war trotz all meiner bemühungen nicht so, weil ich vom richter durchschaut wurde, der mir dann mit dem urteil doch noch sehr geholfen hat. ich wurde zu einer haftstrafe verurteilt, das war für mich erschreckend, die dann aber doch noch zur bewährung ausgesetzt wurde, das war für mich sehr erleichternd, allerdings verbunden mit diversen auflagen, und genau darin bestand die hilfe des richters für mich.

es spielte also überhaupt keine rolle mehr aus welcher motivation ich damals nach hilfe wegen meines schwachen charackters und meinen suffeskapaden suchte, denn ich durfte, wenn ich nicht in den knast wollte 3 jahrelang regelmäßig zu den gruppenabenden erscheinen und auch recht häufig eine bescheinigung des gruppenleiters ans gericht schicken.

alles schön und gut, warum wärme ich diesen alten kaffee hier auf und was hat das mit der eingehenden frage zu tun. die antwort liegt eigentlich auf der hand, ich fing die ganze sache mit einer äußerst fraglichen motivation an und die frage ob ich denn nun wirklich ein alkoholiker bin oder nicht, habe ich zu meinen gunsten mit ja beantwortet, weil alkoholismus ist eben nunmal keine charackterschwäche sondern eine suchtkrankheit und damit konnte ich mit meinem ego besser zurecht kommen. tatsächlich war es für mich unerheblich ob ich stets nur massiven alkoholmißbrauch betrieben habe oder ob ich süchtig war. eine therapie, zumindest im sinne einer langzeitbehandlung habe ich nie gemacht.

probleme traten eigentlich erst später auf, als ich immer mehr sicherheit in meinem "neuen" leben als trockener gewann. ich wollte plötzlich von meiner entscheidung nicht mehr trinken zu wollen nichts mehr wissen, hatte mir aber ein image als trockener schluckspecht aufgebaut, was weiter nicht schwierig war, weil es zahlreiche menschen gibt, die von ausschreitungen meiner person im suff berichten können. daher entwickelte ich so etwas wie einen urlaub von der trockenheit und habe dann auf diese weise diverse rückfälle in der lernphase gebaut, die dankenswerterweise ohne größere konsequenzen verliefen und nie länger als wenige tage dauerten. 2001 verlor ich dieses model außer kontrolle. ich musste beruflich bedingt recht viel fliegen und das bereitete mir bezüglich der starts und landungen doch größere probleme, die ich mit relativ geringen mengen alkohols bewältigen konnte. hierdurch war aber mein schutzwall, hallo leute ich bin trocken, eingefallen und ich konnte nicht mehr so einfach wie davor mich von für mich gefährlichen situationen retten. das ergebnis war fürchterlich, ich erlitt eine schwächepreriode, die 6 wochen dauern sollte, mit verschieden starken besäufnissen, wovon mich eines meines eigenen empfindens nach fast umgebracht hätte. ok da war außer alkohol auch gras und chemie im spiel aber dennoch das war wirklich heftig.

ich war in dieser zeit kein christ und bis zu meiner rückbekehrung sollten auch noch nach diesem ereignis weitere jahre vergehen, dennoch hatte ich wohl unter starken krämpfen soetwas wie ein gebet formuliert. "gott rette mich, ich will so nicht verrecken", hab ich wohl geschrien und sowas wie "wenn ich das überlebe, will ich dir dienen, hilf mir".

was auch immer in dieser nacht statt gefunden hat, es führte dazu daß ich zum betriebshelfer ging, mir einen termin beim internisten besorgt habe und dann mit viel glück ein 3 wöchiges psychologisches kurzzeitprogram mit suchtthematik gefunden habe, was ich dann auch ende 2001 absolvierte, wobei ich da bereits wieder seit wochen trocken war.

nach dieser zeit lebte ich eigentlich sehr glücklich ohne alkohol, ging keine idiotischen kompromisse ein und war mir eigentlich sicher, dass ich alkoholiker bin. das war für mich selbst der beste schutzmechanismus, den ich haben konnte. niemand stellte meine suchtkrankheit mehr in frage, meine umwelt war eigentlich stolz auf mich, weil ich mich so positiv entwickelte und keiner mehr angst vor mir haben musste und überhaupt ist das ja in unserer gesellschaft eigentlich gar kein problem, wenn man ein problem hat und das dann auch in den griff bekommt.

doch was ist dann auf einmal passiert? warum klappt das nicht mehr? fast sieben jahre, eine ewig lange zeit gab es mit diesem model doch garkeine probleme. da waren sehr gute tage dabei und ebenso fürchterlich schlechte, irgendwann zwischen drin wurde ich sogar wieder christ, also noch ein sehr guter grund warum es eigentlich umso besser klappen sollte und später sogar noch missionarischer angestellter.

zur zeit ist der wunsch zu trinken gering bis garnicht vorhanden, meine willenskraft, wenn mir jemand was vorsetzt, bzw. auf mich einredet doch was zu trinken, erbärmlich schwach. ich schlickere mich so durch, ohne jede klare linie und das führt zu eingehender frage. was früher für mich keiner diskussion bedarf, ob ich alkoholiker bin oder ein mißbräuchler, stellt sich mir jetzt in den weg, mit einer ganzen reihe von absurden überlegungen.

wenn ich mal davon absehe, daß alkohol am zentrum verboten ist und im beisein von studenten vermieden werden muß, könnte ich mich ja an geeignetem ort von zeit zu zeit mit dem einen oder anderen trink belohnen, wenn ich lediglich massiven alkoholmißbrauch betrieben habe, weil immer hin in der schwächeperiode, die hinter mir liegt war ich lediglich einmal wirklich betrunken, ansonsten trank ich ja nur geringe mengen alkohols, also das dürfte dann alles kein problem sein und mein charackter hat sich ja auch verbessert, ich bin längst nicht mehr so gewaltbereit und überhaupt lass ich mich nicht mehr so leicht provozieren.

diese gedanken zerfeuern alles was ich mir an selbstschutz erarbeitet habe. es gibt keine möglichkeit medizinisch fest zu stellen, ob ich jeweils abhängig war oder nicht. grundsätzlich stünde ich nicht vor dem problem öfters versucht zu werden, wenn ich selbst mich nicht aus meiner festung heraus begeben hätte und angefangen hätte mit dem alten suchtmittel rumzuzocken. eigentlich muß ich die frage ja auch garnicht beantwortet bekommen, denn es ist eine entscheidung, entweder fürs eine und dabei auf nummer sicher zu gehen oder fürs andere und dabei eventuell schiffbruch zu erleiden.

als ich in der selbsthilfegruppe von meinen zweifeln geredet habe, bekam ich ziemlich eine drüber gezogen. klar versuchte ich darzustellen, daß das mit den entzugserscheinungen bei mir nie so der ganz große hammer war, dass ich jedesmal ohne medikamente den alkohol habe absetzen können, dass selbst 2001 lediglich eine fettleber athestiert werden konnte und ja die blutwerte waren nicht sehr gering, aber bereits nach der ersten woche des 3 wochenprogramms wieder auf normal, heute müssten sie fast jungfräulich sein, also eine medizinische indikation für weitere maßnahmen kann nicht gestellt werden.

"du machst dir doch nur was vor!", ja wahrscheinlich hab ich mir all die jahre nur etwas vorgemacht, nämlich was für ein toller kerl ich bin, wegen meiner gefährdeten umwelt das saufen zu lassen. ja ich hab mir bestimmt etwas vorgemacht, wenn ich nicht getrunken habe und mir gesagt habe, dass mir das besser gefällt, wie wenn ich von zeit zu zeit mit freunden hätte einen trinken können. ja bestimmt habe ich mir etwas vorgemacht, denn es war angst vor strafe, die mich zur selbsthilfegruppe trieb, die ich wahrscheinlich jahrelang ausgenutzt habe, ohne das in schlechter absicht zu tun.

wenn ich mir aber in diesem sehr großen bereich meines lebens die ganze zeit nur etwas vorgemacht habe was ist dann mit all den anderen entscheidungen und motiven, die mein leben in den letzten jahren sehr verändert haben. wie kann oder soll ich dann denn bitte weiter machen? was ist überhaupt noch richtig und wie soll ich jetzt reagieren? wie bekomme ich wieder frieden und sicherheit in mein dasein?

die antworten auf all diese fragen sind einfach, zumindest dem verstand nach und in der theorie. jedes froki würde jetzt augenblicklich den standardsalmon einstimmen "jesus, gebet, freisetzung" und damit wahrscheinlich noch nicht einmal soweit daneben liegen, jedoch sieht die praxis zumindest bei mir doch noch etwas anders aus.

ich kämpfe mit mir selbst, meinen ansichten und meinungen, dem was ich gelernt habe, dem was ich habe, dem was ich haben will. hoffentlich ist diese schreckliche zeit der prüfung bald vorbei, hoffentlich ist es eine prüfung und nichts anderes. warum kann ich mich diesem kampf nicht einfach durch flucht entziehen. egal bin eigentlich auch etwas gespannt wie die ganze sache weiter geht.

so der eintrag war wieder viel zu lang, also ein guter grund ihn garnicht erst zu lesen, bei denen die es trotzdem geschafft haben bedanke ich mich artig.

seid gesegnet
berney

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Danke. Ich wollte dir nur mal schreiben, dass ich seit ein paar Wochen deinen Blog verfolge und ihn sehr genieße. Nicht etwa, dass mir nur der Sarkasmus gut gefällt, fast schon zu viel bis ungesund ist. Viel mehr bemerke ich, wie wenig offen ich im Vergleich bin. Und eigentlich wäre es für mich wohl auch gesund meine Probleme mehr auszusprechen, wenn ichs mal genau nehme, sind sie gar nicht so klein. Aber deswegen bin ich wohl Mann, dass ich nicht darüber spreche. Und dafür bewundere ich dich, dass du nicht so bist. Zumindest sieht es nicht so im Blog aus.

Anonym hat gesagt…

hallo bernd!
das sind ja heftige gedanken... hab dir leider keinen tollen rat(aber damit wäre es ja auch nicht getan, oder?).
aber ich weiß von mir, daß in den zeiten, in denen ich vieles was bisher so unbewußt ablief, oder ganz selbstverständlich war, hinterfragt habe, am ende meistens was gutes rauskam. glaube daß es zum wachstum im leben dazu gehört. mach dich halt nicht verrückt damit .
rilke hat mal was gutes gesagt:
"Ich bitte dich geduldig zu sein, mit den dingen die ungeklärt in deinem herzen sind.
gib dich nicht mit schnellen antworten zufrieden mit denen du auf dauer nicht leben kannst.
lebe deine fragen,
vielleicht wirst du durch sie in die antwort hineinwachsen."
in diesem sinne bernd-sei geduldig mit dir;-)...fetten segen
und laß dich von jesus umarmen! christina